Gemeinde & Kirche

Kirche St. Marien

marien1 0520Geschichte
Das in der östlichen Vorstadt, mitten in einem heute zu Anlagen umgestalteten Friedhof gelegene Gotteshaus tritt unter verschiedensten Namen in alten Urkunden auf, "unser lieben Frauen", "Frauenkirche", "maria uff dem berge" sind die am häufigsten anzutreffenden Bezeichnungen. Nach der Einführung der Reformation 1539 treten noch "Gottesackerkirche" oder auch "Begräbniskirche" hinzu.
Das Baujahr der Vorgängerkirche kann nicht angegeben werden, sie hat allerdings alten Urkunden zufolge 1325 schon gestanden. Das alte, baufällige Kirchengebäude wurde abgerissen und am Sonntag Misericordias Domini (18. April) 1518 der Grundstein zur neuen Kirche gelegt.
1520 steht der Chor der neuen Marienkirche, auch die Westwand hatte man bis zum Dachansatz hochgezogen. 1525 gelang es, die nördliche und die südliche Mauer mit den Strebepfeilern hochzuziehen und damit das Gebäude mit den Umfassungsmauern zu schließen. Ein kleines Türmchen wurde auf das Dach der Kapelle gesetzt. Die fortschrei- tende Reformation hemmte jedoch die Fertigstellung des Gotteshauses. Zum Leidwesen vieler frommer Bürger verfiel die unfertige Kirche und stand 1539 als Ruine da. Bei einer im gleichen Jahr durchgeführten Kirchenvisitation wird das Verlassen der Kirche beschlossen. Der Rat der Stadt und die Kirchenvorsteher bemühten sich um die Wiederherstellung.
Nachdem die Kirche der Stadt übereignet worden war, begann man mit dem Wiederauf- bau, mit der Bedachung, mit der Einrichtung der Schüttböden (für Getreide, da das alte Schütthaus in der Holzstr. nicht mehr ausreichte), mit der Errichtung einer Wand, die Chor und Schiff (wird als Vorratshaus genutzt) voneinander trennte, mit Ansetzung des Giebels und der offenen Fenster. Dazu brauchte man immerhin 10 Jahre.
1561 nahm man vom Chor den Dachreiter herunter, der bis dahin das Mettenglöckchen getragen hatte. Die Fensteröffnungen wurden verglast, Bänke wurden aufgestellt und eine Altartafel (Schuhmacheraltar) aus der Stadtkirche hierher überführt. Im März 1570 finden dann die ersten Begräbnisfeierlichkeiten in dem nunmehr "Begräbniskapelle" genannten Chor statt. Bald reicht der Platz für die Trauergäste nicht mehr aus und 1574 bricht man zwei große Öffnungen in das - allerdings dunkle - Vorratshaus. 1576 versetzt man die Scheidewand in die Mitte der Kirche, bricht von Süden her eine Tür und in die Süd- und Nord- wand Fenster ein.1579 versieht man den neu gewonnenen Raum mit Bänken und brachte eine Kanzel an. Im Jahre1585 wird die Scheidewand gänzlich herausgenommen und man verwendete nur noch den Boden zur Getreidespeicherung.
Der Dreißigjährige Krieg wütet in deutschen Landen. Die Kirche dient bald Soldaten, bald Flüchtlingen, bald Kranken und Sterbenden als Aufenthalt. Sie wird eine Zeitlang sogar als Viehstall verwendet und gerät in tiefen Verfall. Nach einem Bericht des Rates aus dem Jahre 1720 glich die Kirche "einem finsteren Schafstalle".
In Delitzsch lebte ein aus Leipzig gekommener Jurist, Dr. Christian Schultze, der zu erheblichem Reichtum gelangt war. In seinem Testament von 1729 bestimmt er 1000 Thaler für die Wiederherstellung der Gottesackerkirche. Schultze übernahm selbst die Besorgung der Bauarbeiter und der Materialien und verwendete noch einmal 2000 Thaler an dem Bau. Ungeachtet dessen, dass nichts als das Mauerwerk alt blieb, förderte er den Bau so, dass schon am 2. Februar 1730 die völlig neu ausgestaltete Kirche geweiht wurde. Schultze stirbt noch im gleichen Jahr. Das pompöse Monument über dem westlichen Eingangsportal hatte Schultze noch vor seinem Tode errichten lassen. 1734 wird die Kirche, die vorher nur für Begräbnisse genutzt wurde, dem allgemeinen gottesdienstlichen Gebrauch geöffnet. 1758 wird am Westgiebel ein größerer Dachreiter, der auch eine Glocke aufnehmen konnte, errichtet. Erst 1829 konnte die Glocke aufgezogen werden. 1813, nach den Tagen der Völkerschlacht bei Leipzig wurde die Kirche als Lazarett genutzt. Am 1. August 1852 wird die vom hiesigen Orgelbaumeister Löwe gebaute Orgel eingeweiht. 1912 wird die Marienkirche erneut durchgreifend renoviert. Am Ende des I. Weltkrieges ist die Kirche im Innern wieder total verwahrlost. Von 1919 bis 1922 werden Erneuerungsarbeiten durchgeführt, und die Kirche wird in Erinnerung an die Gefallenen des I. Weltkrieges in “Krieger-Gedächtnis-Kirche" umbenannt. 1946 wird sie wieder Marienkirche genannt.

marien2 0520Der Altar
Der sog. "Schumacheraltar" stammt aus dem älteren Inventar der Stadtkirche, angefertigt um 1442. Er ist eine Stiftung der Schuhmacherinnung
Die beiden Heiligen Crispinus und Crispinianus sind die Titelheiligen im Predellaschrein.
Bei geöffneten Flügeln des Altaraufsatzes zeigen sich fünf geschnitzte Figuren.
Es sind in der Schreinmitte Maria, ihr zur Rechten eine nicht mehr bestimmbare Heilige, und auf der anderen Seite St. Agnes, die durch ihr Attribut, das Lamm, eindeutig zu iden- tifizieren ist. Maria ist als sog. "Mondsichelmadonna", die von der Sonne bekleidet, von Sternen gekrönt auf dem Monde steht. Neben Agnes, im Flügel, ist der hl. Hieronymus als Kardinal dargestellt. Sein Attribut ist der Löwe. Im gegenüberliegenden Flügel ist ein bärtiger Heiliger dargestellt, der aufgrund des ihm beigegebenen Knaben nicht nament- lich festzulegen ist. Bei geschlossenen Flügeln zeigen deren Außenseiten insgesamt acht (von eigentlich 14) gemalte Nothelfer. Von links beginnend
- St. Erasmus mit der Winde
- St. Dionysius mit Haupt in den Händen
- St. Pantaleon mit auf den Kopf genagelten Händen
- St. Blasius mit Kerze
- St. Georg mit Drache
- St. Eustachius mit Hirschkopf und Geweih
- St. Achatius mit Dornenzweig
- St. Christophorus mit Christuskind auf der Schulter

Predella
Bei geöffneten Predellenflügeln sind im Schrein die Brüder St. Crispinus und Crispinianus geschnitzt dargestellt. Man sieht sie als Schuhmacher in ihrer Werkstatt bei der Arbeit.
Auf den Innenseiten der Predella-Flügel sind dargestellt:
- Papst Urban I in Pontifikalkleidung mit Tiara und Kreuzstab -sein Attribut- die Traube- kennzeichnet ihn als Winzerheiligen
- St. Sebastian in vornehmer Kleidung, sein Attribut, das Pfeilbündel, weist auf sein Mar- tyrium hin.
Wenn die Predella-Flügel geschlossen sind, wird das Gesamtbild der Messe des hl. Gre- gor sichtbar. Christus erscheint, dornengekrönt, als Schmerzensmann, im offenen Sarko- pharg stehend, dem zelebrierenden Papst Gregor während der Messe. Er weist aus den blutenden Wunden der Kreuzigung. Der Papst kniet allein vor dem Altar, die Hände wie erschrocken vor der Brust geöffnet. Zu seinem "Assistenzpersonal" gehören hier nur zwei Kardinäle; der linke, der die Tiara des Papstes trägt und der rechte mit dem Papstkreuz.
Auf dem Altar weiterhin zu sehen sind zwei Kerzen und das offene Messbuch. Umgelegter Kelch und Patene sind ebenfalls zu sehen. Über das Gesamtbild sind die Leidenswerk- zeuge Christi verteilt, die die einzelnen Stationen seiner Passion versinnbildlichen sollen: das Kreuz und die Geißelsäule, Rutenbündel und Ketten, der Hahn (auf der Geißelsäule) aus der Verleugnungsszene des Petrus im Gerichtshof, Hammer und Zange von der Kreuzigung und der Kreuzabnahme, eine schlagende Hand (Verspottungsszene) und die 30 Silberlinge, der "Judaslohn". Seitlich vom hl. Gregor ist ein Mann mit Turban (Pilatus?) , links ein Mann mit Hut (?) und einer mit einer spitzen Mitra und krummen "Judennase" (Kaiphas). Die markanteste Person ist rechts Judas mit rotem Haar und ebensolchem Bart. Den Geldbeutel hängte man ihm gleich um den Hals.

Kanzel
In die Südseite des weit ausschwingenden Chorbogens ist 1889 die Kanzel eingebaut worden, die der Kaufmann Gregor Hochstetter 1616 für die Stadtkirche gestiftet hat. Die Umrahmung der ehemals vorhandenen Tür zur Kanzeltreppe schwingt in eine Kartusche aus, die von Engelchen gehalten wird. Auf der schwarzen Kartusche steht in Goldschrift "Greger Hochstetter hat diesen Predigtstuhl Gotte zu Ehren, dieser Kirche zur Zierde und seiner zum Gedächtnis fertigen lassen, 1616." Die Treppenbrüstung trägt folgende weiß und golden bemalte Schnitzereien: die Verkündigung, die Geburt Christi und die Darstel- lung des Beschneidungsaktes. Die eigentliche Kanzel wird von Mose getragen. Über ihm steht in der Kanzelbrüstung eine Christusgestalt, ihm zur Rechten die Evangelisten Matthäus und Markus und zur Linken Lukas und Johannes mit ihren jetzt zum Teil fehlen- den Beizeichen. Das Kanzelpult wird von einer reichgeschnitzten, vergoldeten Taube mit ausgebreiteten Flügeln gebildet.

Orgel
Das in den alten 5-teiligen Orgelprospekt (ca. 2.Viertel 19. Jahrh.) eingebaute Orgelwerk wurde 1954 von der Orgelbaufirma Eule aus Bautzen erneuert und erweitert. Die Windla- den wurden so umgebaut, dass aus der von Loewe 1852 gebauten einmanualigen Orgel mit 12 Registern eine zweimanualige mit 13 Registern und drei Koppeln wurde. Am 4. Advent 1954 fand die Einweihung der neuen Orgel statt.

Die Glocke
Die Glocke der Marienkirche wurde 1826 von der Kaufmannswitwe Dorothea Hartmann, geb. Heller gestiftet. Sie kostete damals 250 Thaler, wiegt 210 kg und misst einen Durch- messer von 70 cm. Ihr Guss wurde von der Firma Zeitheim in Naumburg ausgeführt. Die Umschrift um den Glockenhals lautet: "Wenn ich rufe hoeret meine Stimme", am Glocken- mantel lesen wir den Schillerschen Vers: " Zur Eintracht zu herzinnigem Vereine ver- sammle sie die liebende Gemeinde". Die Glocke wurde 1829 aufgezogen.

Beschreibung des Kircheninneren
Der Kirchenraum ist einschiffig, hat eine flache Decke, Holzdecke mit Kassetten (um 1930 eingebaut), Emporeneinbauten, die fast bis zum Chorbogen gehen.
Langhaus und Chor sind durch einen spitzen Triumphbogen verbunden.

Christusfigur
An der Nordwand des Kirchenschiffes steht auf einem Sockel eine Christusfigur. Es ist eine Holzbildhauerarbeit von Frau Elly-Viola Nahmmacher aus Greiz in Thüringen.
Die Arme des Heilands sind nach oben gestreckt, so, als ob er siegreich aus dem Grabe fährt und dabei die feiernde und betende Gemeinde segnet. Die Figur ist von einem Metall- rahmen in Kreuzform umgeben. Das Haupt der Figur ist dem Beschauer zugeneigt. Er schaut erbarmend herab auf die Menschheit und auf die gesamte Kreatur, die an der rechten Seite durch zwei Fische, einen Hahn, einen Ochsen, ein Lamm, einen Esel und eine Taube vertreten ist. Alle diese Tiere haben ihren Blick nach oben gerichtet.

Lektorenpult
Das Lektorenpult wurde 1961 aufgestellt. Man sieht an der Front des Pultes den in kräftigen Farben ausgeführten brennenden Dornbusch, in dem Gott Mose erschienen ist. Neben dem Busch steht ein Engel, der seine Hände abwehrend erhebt: " Nahe dich Gott in Ehrfurcht und Zittern, ziehe deine Schuhe aus, der Ort, da du hintrittst, ist heiliges Land!"

Taufschale
Im Chorraum steht die Taufschale, auf geformten Eisenstäben, von gleicher Künstlerin geschaffen, wie das Pult. Die Taufschale ist wie eine Welle geformt, voller Bewegung. Einziger Schmuck des Taufständers ist das Bild des Fisches, des uralten Zeichens der Christenheit.

Maria mit dem Kinde
Diese Figur, um 1420, stand ursprünglich in einer Nische außen am Kirchenschiff. Die Sandsteinfigur zeigt sehr gedrungene Körperverhältnisse.

Grabmale
Die Grabtafeln des Stifters der Kanzel, Gregor Hochstetter und dessen Ehefrau Euphemia, befinden sich an der Südwand des Chorraumes. Gregor Hochstetter war ein Handelsmann und zugleich Wohltäter der Kirche.
Ein Holzepitaph befindet sich an der Nordwand der Kirche. Ein Delitzscher Arzt ließ diese Gedenktafel anfertigen. Sie erinnert an seine 5 Kinder, die innerhalb von sieben Jahren im Kindesalter verstorben sind.
Man hat noch weitere Grabtafeln in der Marienkirche aufgestellt, um sie vor dem Verfall zu retten und um einen Einblick in díe handwerkliche Grabmalkunst geben zu können.

marien3 0520Beschreibung der äußeren Anlage
Es handelt sich bei der Marienkirche um einen vierjochigen Bau mit einem zweijochigen, schmaleren, dreiseitig schließenden Chor.
Das Hauptgesims unter dem Dach besteht aus zwei übereinander vorkragenden Hohlkehlen. In den Wänden findet man verschiedene Nischen, in denen sicherlich einmal Heiligenfiguren gestanden haben. Das Ostjoch des Schiffes ist weiter als die übrigen Joche, man sieht in seiner Süd- und auch in der Nordwand je einen weiten ausgemauerten Bogen, deren Zweckbestimmung bei der sehr bewegten Baugeschichte der Kirche heute nicht mehr festzustellen ist. Das Hauptportal an der Westseite der Kirche ist mit dem pompösen Epitaphium des Christian Schultze umbaut. Die Sakristei der Kirche ist die ehemalige Pareidtsche Grabkapelle. Am Türschlussstein liest man in Erinnerung an die ehemalige Bestimmung des Anbaus: MEMENTO MORI.